Sie ist eine Hexe! Überwachungswahn Teil 12456

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Überwachungsterroristen bomben den Boden aus dem Fass der Rechtsstaatlichkeit

Sicherheit über alles möchte man tatsächlich meinen, wenn man diese Tage mit dem ÖNV unterwegs ist. Ralle berichtet beispielsweise über unnütze Zug-Stopps und Kontrollen, die zu nichts führen außer erheblichen Verspätungen und kommt sich vor wie im Irrenhaus. Ich selber sehe es täglich in Köln – gerade hier. Am Bahnhof verstärkte Polizeipräsenzen, Gleissperrungen aufgrund herrenloser Thermoskannen, selbst in der U-Bahn kommt es zeitweilig zu Verspätungen durch irgendwelche polizeilichen Maßnahmen usw. Meine Verwandtschaft macht sich übertriebene Sorgen um mich, weil ich im selben Stadtteil wohne, wie der zweite Verdächtige, der sich mittlerweile im Libanon den Behörden gestellt hat – Oh mein Gott, vielleicht saß ich sogar mal mit ihm zusammen in der Bahn??? Streng genommen wohne ich übrigens in Neu-Ehrenfeld aber das spielt auch keine Rolle. Die Massenhysterie in den Medien und der Überwachungswahn ist fürchterlich und verängstigt nur den gemeinen Bürger – hysterische Forderungen von merkbefreiten Politikern setzen dem ganzen die Krone auf. Anschläge lassen sich nicht verhindern durch mehr Kameras, mehr idiotischer Verdächtigungen, mehr gefühlter Sicherheit sowie mehr Angst und damit verbundener irrationaler Handlungen. Ich fühle mich zunehmend unsicher durch diese Maßnahmen, denn ich will nicht ständig überwacht und kontrolliert werden und ich wehre mich dagegen so gut es geht. Anders ausgedrückt: "žHaltet Euch aus meinem Leben raus und lasst mich in Ruhe!„ Die Kommunikation der Bürger soll präventiv überwacht werden dank der Vorratsdatenspeicherung. Die Kontostammdaten stehen nahezu mit einem Tastendruck zur Verfügung ("žFörderung der Steuerehrlichkeit„), ebenso Überwachungsaufnahmen von Kameras privater Unternehmen (auf Anfrage, richterlichen Beschluss) oder Daten des Kraftfahrtbundesamtes und in Kürze dann auch Daten des Mautsystems. Massengentests zur Überführung von Kinderschändern, bescheuerte Vorschläge, die Kryptografie zu verbieten, die Kritik an Anonymisierungsdiensten (insb. JAP) und die Forderung nach stärkerer [Zensur]{style="text-decoration:line-through;"}Kontrolle des Internets (ZEIT-Interview: Reine Ressourcenverschwendung), "žTrain-Marshalls„ sowie das anstehende Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (sic!), das noch weiterreichende Befugnisse für die Geheimdienste und die Polizei vorsieht, tun ihr übriges. Was geschieht mit den gespeicherten Daten? Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass im Frühjahr diesen Jahres bereits vom Berliner Thinktank Berlinpolis eine Kontrolle des Internets als "žFernuniversität der Gewalt„ gefordert wurde.

"Hierfür können nahezu jegliche Daten, die im Internet zugänglich sind, benutzt werden: Häufigkeit der Klicks auf eine Internetseite, statistische Daten wie Umfrageergebnisse, Wahlbeteiligung und Mitgliedschaften. Mit diesen Informationen lassen sich Querverbindungen erstellen, zum Beispiel zwischen Wahlbeteiligung und Arbeitslosigkeit, zwischen Straffälligkeit und Engagement in verschiedenen Organisationen, zwischen der Besucherhäufigkeit einer Website und der Entwicklung der dahinterstehenden Organisation, zwischen Aktivität in Online-Foren und Engagement in realen Vereinigungen" – Quelle: Heise.

Diese fixe, wenn auch bescheidene Idee scheint nun unser werter Innenminister wieder aufnehmen zu wollen – Gelegenheit macht Überwacher – die Grundrechte und Datenschutz interessieren nicht die Bohne. Es ist naiv zu glauben, damit effektiv Terroristen fangen zu können, geschweige denn im Vorfeld auf diesem Wege Anschläge zu verhindern. Wer soll die riesigen Datenmengen denn analysieren? Soll das automatisiert passieren? Na Mahlzeit. Über die "false positives" werden sich die Betroffenen bestimmt freuen. Außerdem wie weit soll das führen? Die Flughäfen sind mittlerweile förmlich mit Überwachung und Sicherheit "žzugebombt„, so dass schon jetzt ein einigermaßen bequemes und zeitnahes Reisen nicht mehr möglich ist – bei den ganzen Sicherheits-Repressalien. Demnächst wird es wahrscheinlich nur noch Nudisten-Airlines geben. Oder man darf generell gar kein Reisegepäck mehr mitführen … Was ist mit den unsicheren und funkenden RFID-Pässen? Die dürfen demnächst wahrscheinlich auch nicht mehr mit an Bord und somit darf keiner mehr fliegen und alle bleiben Zuhause. Man könnte ja auf diesem (Funk-)Wege eine Bombe zünden – auf spezifische Personen/Nationalitäten getrimmt. Was juckt das die Terroristen? Sie weichen einfach auf andere Ziele aus, die nicht so gut gesichert sind. Und dann? ALLES absichern? Öffentliche Gebäude, Sehenswürdigkeiten, Denkmäler, Marktplätze, Einkaufszentren, Häfen, Schiffe usw? Und wenn das auch nichts bringt? Idiotisch und irrational, sich darüber Gedanken zu machen. Versucht es einfach mal mit der Suche nach den Ursachen. Warum mutieren diese Menschen wohl zu Terroristen? Ursachenforschung und Konfliktlösung wären vernünftige Ansätze in meinen Augen. Aber dann gäbe es auch nichts mehr an Waffenexporten zu verdienen. 9/11 war ein Sicherheitsgau für die Geheimdienste und Datenschnüffler. Bis heute wurden nahezu alle verhinderten Anschläge nur dadurch vereitelt, dass Dienste und Polizei klassisch ermittelt haben und beispielsweise Informanten hatten, sowie Verdächtige monatelang observieren ließen. Wie ich vor einiger Zeit bereits schrieb, lassen sich mit diesen ganzen Maßnahmen keine Terroristen fangen (Bin Laden schaut CNN und steht auf Whitney Houston) – die müssten viel zu blöd sein. Aber die Maßnahmen sind vortrefflich dazu geeignet, riesige Datenmengen über JEDEN Bürger anzuhäufen und Angst zu schüren durch das ständig vergegenwärtigte, scheinbare Damoklesschwert des Terrors – Damit lässt sich nebenbei das "Wahlvieh" gut kontrollieren und man gewinnt auf diesem Wege wertvolle Informationen über seine Bürger – nützlich besonders dann, wenn unser Land weiter so kaputtregiert wird und die Menschen sich das nicht länger bieten lassen wollen und auf die Straße gehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Daten zum Nachteil eines jeden ver- bzw. entwendet werden (können) – siehe LKW-Mautsystem oder Datenklau – die Amis sind diesbezüglich Vorreiter:

Wenn Daten einmal da sind, werden sie zweckentfremdet. Das war so und wird immer so bleiben. Wer das nicht weiß bzw. glaubt, ist schlicht und einfach naiv. Und in der Hand von den falschen (Staat, Wirtschaft, Kriminelle) können solche Daten verheerende Wirkungen haben. Ähnlich wie in Dopingfällen – früher konnte man einige Doping-Sünder nicht überführen, weil entsprechende Tests nicht vorhanden waren. Heute taut man die Urinprobe wieder auf und entlarvt den Täter rückwirkend mit dem weiterentwickelten Test. Die Konsequenzen kann man sich ausmalen, übertragen auf alle unbescholtenen Bürger – irgendwann findet man immer irgendwas, man muss nur genügend Daten haben und dementsprechende Gesetze der gleitenden Zweckbestimmung zuführen (siehe Maut). Nützlich erst recht, wenn die Daten bereits vorhanden sind – nach dem Motto: "žIch weiß noch immer, was Du vor 30 Jahren getan hast„.

„Die Bedrohung für unser Land ist damit nicht zu Ende"?, sagte Schäuble am Donnerstagabend in Berlin.

Ich sehe das genauso, wie im Kiesows Blog geschrieben. Letzten Endes fühle ich mich in meiner Freiheit und in meinen Bürgerrechten wesentlich mehr bedroht durch unsere debilen Volksirgendwas als durch irgendwelche Terroristen. Mir ist sowieso schleierhaft, wie jemand, der selber einem Attentat zum Opfer fiel, später Innenminister  werden kann. Da fällt mir ein – woran erkennt man überhaupt einen Verdächtigen? Welche Dinge machen einen verdächtig? Falsch laufen, falsche Kleidung, falsche Frisur, falsche Ansichten/Einstellungen? Das erinnert mich an "žRitter der Kokusnuss„:

- "Es gibt Methoden, um festzustellen, ob sie eine Hexe ist."
- "Welche denn?"
- "He? Sagt es uns! Sagt uns, woran man sie erkennen kann!"
- "Was tut man im allgemeinen mit Hexen?"
- "Verbrennen! Verbrennen!"
- "Was ausser Hexen, kann sonst noch brennen?"
- "Noch mehr Hexen!"
- "Holz!"
- "Gut, warum denkt ihr nun, dass Hexen brennen ?"
- "Äh….. weil …................ weil sie vielleicht….. aus Holz sind?"
- "Guuut! John, das sind 3 punkte. was macht man aus Holz?"
- "Wir bauen eine Brücke aus ihr!"
- "Seeehr gut, aber kann man Brücken nicht auch aus Stein bauen?"
- "Ja, natürlich."
- "Nächste Frage: Versinkt Holz im Wasser ?"
- "Nein.. Nein, es schwimmt!"
- "Was… äh, schwimmt ausserdem noch im Wasser ?"
- "Brot!"
- "Äpfel!"
- "Kleine flache Steine!"
- "Bahnsteigkarten!"
- "Ich weiss, ein Ersoffener!"
- "Charlies Grossmutter!"
- "Scheisse! Die schwimmt immer oben!"
- "Kalte Ente!"
- "Sehr genau beobachtet!"
- "Also schlussfolgern wir logisch… ?!"
- "Wenn ihr Gewicht das gleiche ist, wie das einer kalten Ente, dann muss sie aus Holz sein."
- "Und das bedeutet was?"
- "Sie wär eine Hexe!"

Vielleicht sollten wir endlich "žBrain-Marshalls„ für Politiker fordern. Schönes Wochenende.

Update: Heise berichtet über die Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung bei Anonymisierungsdiensten wie beispielsweise AN.ON:

Die im Gespräch vertretenen Ministerien strebten "irgendeine Art von Vorratsdatenspeicherung" für Anonymisierungsdienste an. Generell werde darüber hinaus eine Speicherung von Daten auf Vorrat auch für andere Dienste von den Strafverfolgungsbehörden angemahnt.

Jan Beilicke

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Jan Beilicke is a long-time IT professional and full-time nerd. Open source enthusiast, advocating security and privacy. Sees the cloud as other people's computers. Find him on Mastodon.